foto: sophia lasson
VERONIKA SCHMIDT - GANZ PERSÖNLICH - RADIO LIFE CHANNEL TALK
foto: sophia lasson
by Veronika Schmidt in Sexualität allgemein, Endlich Gleich!, Buch, Christliche Lebenswelt, Interview, Podcast, Radio Life Channel, 2020
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foto: sophia lasson
by Veronika Schmidt in Buch, Christliche Lebenswelt, Endlich Gleich!, Gleichberechtigung, Gleichstellung, Gott, Geschlechtergerechtigkeit, 2019
copyright: lisa kötter - maria 2.0
danke für die verwendungsrechte
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«Liebe Weiber, stellt euch hinten an! Es gibt wichtigere Themen!»
Die Autorin des Buchs WEIBERAUFSTAND bezeichnet sich selbst als Katholikin und Zweiflerin und ist Radioredakteurin bei Religion und Gesellschaft beim Deutschlandfunk in Köln. Zur gegenwärtigen Zauderei der christlichen Männer schreibt sie: «Keiner der Herrn mit Hut und Mütze ermannt sich und bringt den schlichten Satz über die Lippen: Frauen und Männer sind gleichberechtigt, auch in der katholischen Kirche. (…) Sie (die Frauen) sind zwar vom Quer- zum Längsthema geworden, aber von ihnen wird - wie immer - Bescheidenheit erwartet. Gleichberechtigung gilt als unverschämtes Maximalziel.»
So denken nicht nur katholische Männer. Es lohnt sich, den Poster-Boys der evangelikalen Glaubenswelt (aber auch besonders ihren angesagten katholischen Mitstreitern) auf den Zahn zu fühlen und ganz genau zuzuhören, was sie sagen oder nicht sagen. Die Infragestellung lautet nicht nur, was tun sie für das Anliegen der Gleichberechtigung und der Gleichstellung der Frau? Viel brisanter und wichtiger ist die Frage, was tun sie eigentlich ganz bewusst nicht – und aus welchen Motiven. Christiane Florin nennt eines:
«Wer es formuliert (das Anliegen), gefährdet das grosse, kleine Ganze.»
Doch was ist das grosse, kleine Ganze? Wenn man genau hinhört, ist damit die EINHEIT DER GLÄUBIGEN gemeint. Wir Frauen sollten die Ungeheuerlichkeit dieses Gedankens unbedingt zu Ende denken. Unsere Gleichstellung wird auf dem Altar der Einheit der Gläubigen geopfert. Auf dem inner-kirchlichen, dem inner-denominationalen, dem inner-evangelikalen, dem inner-freikirchlichen, dem inner-ökumenischen Altar. Geopfert der Allianz der Männer, des Church-Boys-Club und seiner Bro-Kultur, den Funktionären, welche die christliche Welt regieren und verwalten. Besonders die in verführerisch modernem Gewand daherkommende ökumenische Allianz macht es nötig, dass uns der Weiberaufstand in der katholischen Kirche als evangelische, reformierte Frauen sehr wohl etwas angeht. Es ist auch unser Kampf.
Die Einheit wird bezeichnenderweise nicht nur in Bezug auf die Frau, sondern aktuell ganz besonders zu sexualethischen Fragen dauerbeschworen. Doch diese Bezüge sind grundfalsch. Unsere Einheit beruht auf dem gemeinsamen Glaubensbekenntnis zu Jesus Christus. Ich führe in meinem Buch ENDLICH GLEICH! den unmittelbaren Zusammenhang von Sexualität und Frauenfrage aus. Wenn Frauen in der Gemeinschaft der Gläubigen keinen gleichberechtigten Platz kriegen, wird auch die Sexualität ewiger Stein des Anstosses bleiben. Oder in der Umkehrung (bzw. logischeren Reihenfolge) geradezu absurd anzuhören: Wenn Sexualität ewiger Stein des Anstosses bleibt, werden die Frauen in der Gemeinschaft der Gläubigen nie einen gleichberechtigten Platz kriegen. Doch Frauen allen Alters: Wir müssen es überhaupt als unser Problem und als ein gemeinsames Frauenproblem begreifen!
Frauensolidarität war schon immer auch ökumenisch, das zeige ich im Buch ENDLICH GLEICH! auf. So nebenbei - das Buch wird übrigens auch ökumenisch vereint totgeschwiegen und seine Verbreitung dem sozialen Frieden geopfert - nachdem ein katholisches Rumpelstilzchen getobt hat - just saying. Die Frauensolidarität braucht grundsätzlich einen Erkenntnisschub, den ich im Buch folgendermassen beschreibe: «Im Laufe des Schreibens von diesem Buch fiel mir etwas auf. Nämlich, wann im Laufe der Geschichte die Frauensolidarität am besten funktionierte: In der Not! (…) Es wäre tragisch, wenn christliche Frauensolidarität nur deshalb nicht funktioniert, weil es uns zu gut geht. Weil die einen haben, was sie wollen, und das Schicksal anderer Frauen überhaupt nicht interessiert, auch nicht die Ungerechtigkeit in der Welt. Es sind beschämende Gedanken, denen wir Frauen uns unbedingt stellen sollten.»
Deshalb möchte ich alle Frauen, aber ganz speziell die jungen Frauen und die reformierten Frauen, aufrütteln. Jede Generation muss auf dem Erbe der vorangehenden Generation aufbauen, sonst gehen deren Errungenschaften wieder verloren. Ausruhen bedeutet Rückschritt. Wir können uns nicht auf den Lorbeeren unserer Vormütter ausruhen und das Erreichte als Selbstverständlichkeit betrachten und mehr als das Erreichte nicht mehr wollen. Wenn sich Frauen heute nicht mehr für (kirchliche) Emanzipation engagieren und sagen, «Ach, ist doch alles kein Problem», dann vergessen sie, dass es ein Problem war und durch Ignoranz wieder zum Problem wird und in unserer christlichen Lebenswelt ein Problem bleibt. Wir sollten uns die Freiheiten, die wir erkämpft haben oder die andere für uns erkämpften, verteidigen.
Unter diesem Titel fragt Petra Bahr im «BREF», dem Magazin der Reformierten No 14/2019, weshalb es evangelischen Frauen so schwerfalle, sich mit den Protesten von Maria 2.0 zu solidarisieren. Ihr Artikel erschien zuerst in Christ & Welt, den Extraseiten der ZEIT für Glaube und Gesellschaft. Petra Bahr ist Publizistin und Regionalbischöfin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover. Sie beschreibt, wie sie an einem ökumenischen Anlass beschämt realisiert, dass die keine Ahnung hat: «Nicht von der Wut und der Trauer, nicht von der Fähigkeit weniger Frauen, innerhalb kürzester Zeit sehr viele zu sein, die einander in der Kirche halten, einer Kirche, die sie lieben und in der sie doch keinen Ort mehr finden mit ihrer Sehnsucht nach Gleichheit.»
Sie zitiert einen evangelischen Kollegen, der die Abwehr des Diakonats der Frau durch den Weihbischof in seiner Nachbarschaft rechtfertigt: «Die deutschen Katholiken stehen ja nicht allein, sie sind Teil der Weltkirche. Da muss man Rücksicht nehmen und mehr Verständnis haben.» Bahr bringt auch ein Beispiel, welches bestätigt, wie eng die sexuellen Vorstellungen mit dem Bild der Frau verknüpft sind. So soll ein Kirchenvorstand angesichts der Pastorin, die ein Kind erwartete, gefragt haben: «Eine Schwangere, die die Einsetzungsworte spricht? Geht das denn?» Sie schreibt dazu: «Dass die Reinheit des Herzens zum alleinigen Angelpunkt des Christentums geworden ist, gerät auch im 21. Jahrhundert schnell in Vergessenheit, wenn es um Kirchenämter geht.»
Sie nennt das ökumenische Verschweigen der konfliktheraufbeschwörenden Unterschiede aus Angst vor wechselseitiger Verstimmung «Unterhak-Ökumene mit medialer Wirkung».
Sie beschreibt die Mechanismen von «Weiber, es gibt wichtigere Themen» ganz praktisch: «Was bedeutet das Lehramt schon, wenn man gemeinsam für einen humanen Umgang mit Geflüchteten kämpft, Caritas und Diakonie zusammen Projekte auflegen und die schrumpfende Gruppe kirchlich gebundener Abgeordneter in den Parlamenten nicht mehr nach ihrer Konfession, sondern in ihrem Christsein angesprochen wird. Gemeinsame Sommerempfänge, gemeinsame Gottesdienste auf öffentlichen Plätzen (gemeinsame riesige Jugendkonferenzen A.d.A.) – wer mag schon angesichts der tiefgreifenden Krise verfasster Kirchlichkeit am Amtsverständnis herumkritteln?»
In besagtem Artikel lesen wir das Zitat einer Maria-2.0-Vertreterin, die laut Petra Bahr keine Sekunde einen Zweifel aufkommen lässt, dass sie alle theologischen Argumente kennt: «Wir wollen eine Debatte und wir wollen an ihr teilnehmen.» Bahr erzählt, wie an sie als evangelische Gesprächspartnerin auf ökumenischen Podien von katholischen Geistlichen regelmässig die Frage adressiert wird: «Warum verliert ihr so viele Kirchenmitglieder, obwohl ihr Frauen im Pfarramt zulasst?» Sie findet die Frage deshalb verstörend, weil damit suggeriert wird, dass mit Frauen im geistlichen Amt der Verfall der Kirche noch beschleunigt wird. Sie fragt: «Was passiert, wenn die Säulen brüchig werden, auf denen die Gemeinden stehen? Säulen, die nur bei genauerem Hinsehen als weibliche Wesen erkannt werden? (…) Auch in den evangelischen Gemeinden ruht viel auf den Schultern dieser Frauen. Oft sind sie die Unscheinbaren. Dann und wann werden sie sogar wegen dieser Unscheinbarkeit gelobt. Doch Unscheinbarkeit ist kein Selbstzweck. Das haben die katholischen Frauen verstanden. Deshalb versuchen sie, das zu tun, was sie sich oft ein Leben lang verboten haben: laut zu sein, insistierend, ruhelos, zweifelnd, ungeduldig.»
Wir alle - gläubige Frauen und emanzipierte Männer - sollten uns nicht nur solidarisieren mit allen Frauen der christlichen Lebenswelt, wir sollten aufstehen und aktiv etwas tun für die Gleichstellung der Geschlechter. Packen wir es an!
«Wir sind die frommen, zornigen alten und jungen Frauen, Wir sind klug. Wir lieben Christus und die Menschen. Wenn wir nicht mehr kommen, was dann?»
aus “Wir sind alle Maria”
by Veronika Schmidt in Aufklärung, Aufreger, Bibel, Buch, Christliche Lebenswelt, Ehe, Fragen, Gleichberechtigung, Gott, Liebe, Sexualität allgemein, Sexuelles Begehren, Zusammenleben, Vortrag, Interview, Podcast, 2019
DAS AUSFÜHRLICHSTE INTERVIEW MIT UMFASSENDEN INFORMATIONEN IN STANDARDSPRACHE - Danke Marc Bareth und Familylife five
„In der Sexualität erhält man eine Ahnung der Ganzheitlichkeit der Schöpfung.“ – Veronika Schmidt
Sie ist zu einer Art Aufklärerin in der frommen Szene geworden: Veronika Schmidt, klinische Sexologin, systemische Paar- und Familienberaterin, Autorin. Die Sexologin aus Schaffhausen hat mit ihren Büchern «Liebeslust» und «Alltagslust» einen Nerv getroffen. Mehrere Auflagen sind inzwischen verkauft. Für ihren Blog liebesbegehren.ch gewann sie 2017 den Familylife Award. Hunderte Menschen aus der Schweiz und Deutschland lesen täglich ihre Beiträge zu Sexualität. Im Juni erscheint ihr drittes Buch «Endlich gleich! – Warum Gott schon immer mit Frauen und Männern rechnet» im SCM-Verlag. Mit ihrem Mann lebt sie in Schaffhausen und hat vier erwachsene Kinder und vier Enkelkinder.
Veronika Schmidt will nicht in erster Linie Tabus brechen, sondern die Bedürfnisse der Menschen aufgreifen (3:45)
Körperfeindlichkeit ist in der Bibel nicht zu finden (07:09)
Bis jetzt war Kirche nicht Vorreiter im Thema Sexualität, sondern hat gesellschaftliche Trends nachvollzogen (08:13)
Christen haben keine Kultur der bejahenden und fördernden Sexualität (09:10)
Sex ist auch eine spirituelle Erfahrung (10:31)
Haben Christen besseren oder schlechteren Sex als Personen mit anderem Glauben? (12:34)
Eine gute Beziehung zum eigenen Körper als Voraussetzung für guten Sex. Sexualität muss ein Leben lang gelernt werden (13:30)
Wie kann man als Kirche gut über Sex sprechen? (15:56)
Ein Grund, der gegen Sex vor der Ehe spricht: Die Kennenlernphase wird unterbrochen, wenn man Sex hat (19:07)
Je mehr junge Menschen über Sex wissen, desto später haben sie das erste Mal Sex (20:50)
Sex heißt Verantwortung übernehmen für den anderen und für ein potenziell entstehendes Leben (21:52)
Ungefähr 75 % der jungen Menschen (Christen) warten mit dem ersten Sex nicht bis zur Ehe (23:15)
Veronika Schmidt propagiert das Vermitteln von Wissen zu Sexualität statt des Verbots von Sex vor der Ehe (24:09)
Selbstbefriedigung als wichtiger Baustein für eine gelungene Sexualität (25:10)
Die Verbindung zwischen Selbstbefriedigung und Pornografie (28:05)
Wie Männer frei von Pornografie werden können (30:10)
Weshalb für Frauen der sexuelle Lernprozess noch schwieriger ist als für Männer (36:10)
Selbstbefriedigung in der Ehe (37:26)
Als Eltern von kleinen Kindern ganz normal über die Geschlechtsorgane sprechen (41:06)
Umgang mit Unlust in langjährigen Beziehungen (44:54)
Die Lust kommt, indem man sich auf Sex einlässt (46:10)
Keine Lust bedeutet eigentlich: Ich wäre jetzt spontan nicht auf die Idee gekommen, Sex zu haben (47:32)
Veronika Schmidt ist Fan von geplantem Sex (48:23)
Die ideale Häufigkeit von Sex (49:03)
Was man tun kann, damit man als Paar auch in einigen Jahren noch zusammen Sex hat (50:23)
Die Sexualität der Frau verändert sich mit der Geburt eines Kindes (52:39)
Monogamie bedeutet nicht automatisch guten Sex und serielle Monogamie nicht automatisch schlechten Sex (54:15)
Mit Sex bis zur Ehe warten bedeutet nicht automatisch guten Sex (57:22)
Sex in der Hochzeitsnacht ist nicht mehr als der Beginn eines Lernprozesses. Wer mehr erwartet, wird wahrscheinlich enttäuscht werden (58:12)
„Man braucht keine sexuellen Erfahrungen vor der Ehe, aber man muss sich bewusst sein, dass befriedigender Sex nicht vom Himmel fällt“ (1:00:08)
Weshalb es Veronika Schmidt fahrlässig findet, mit jeglichem Körperkontakt bis zur Ehe zu warten (1:00:30)
Guter Sex und eine gute Beziehung bedingen sich gegenseitig (1:03:38)
Weshalb Veronika Schmidt als Sexologin das Buch „Endlich gleich! Warum Gott schon immer mit Frauen und Männern rechnet“ geschrieben hat (1:04:48)
Auf den Sündenfall folgte der Geschlechterkampf, dann die Dämonisierung der Frau, dann die Dämonisierung der Sexualität (1:10:30)
Der Schlüssel zu versöhnten Geschlechtern ist die Frau (1:13:10)
Es geht um die Gleichwertigkeit und die Gleichstellung und nicht um die Gleichheit von Mann und Frau (1:15:40)
Wie die Bibel zu verstehen ist. Das Spannungsfeld zwischen wörtlichem und kulturell erklärendem Verständnis der Bibel (1:17:34)
„Gott ist nicht die Kirche. Oder: Die Kirche ist nicht zwingend Gott.“ (1:21:55)
Veronika Schmidts Tipp, wie man in 5 Minuten seine Sexualität verbessern kann. (1:23:27)
by Veronika Schmidt in Aufreger, Buch, Christliche Lebenswelt, Gott, Sünde, zölibatär leben, Sehnsucht, 2018
foto: matheus guimarães
foto: matheus guimarães
Liebe Mathilda
Vor allem mein Buch LIEBESLUST würde ich Dir zu lesen empfehlen. LIEBESLUST ist ein Erwachsenen-Aufklärungsbuch mit biblischem Bezug, welches sich nicht nur an Paare wendet, sondern auch an unverheiratete Menschen jeden Alters. Denn sexuelle Wesen sind wir schöpfungsgemäss, und unsere Sexualität ist energetisches Zentrum unseres Selbst, egal ob genital ausgelebt oder nicht. Wer den Stellenwert der Sexualität bei sich selbst verleugnet, lebt quasi auf Sparflamme. Auf Deine Frage, wie Du mit Deiner Sehnsucht nach Nähe und Zärtlichkeit umgehen kannst, beginne ich mit Anselm Grün, den Daniel Zindel in seinem neuen Buch HÜTTENZEIT zitiert:
„Da sassen wir also alle im Kreis, evangelikale, grün-ökologische und feministische Theologinnen und Theologen. Pater Anselm referierte über benediktinische Spiritualität. Am Schluss blieb Zeit für Fragen. Der Eklat – ich als Kursleiter empfand es als äusserst peinlich – geschah ganz am Schluss: „Sagen Sie, Herr Grün, betreiben Sie auch manchmal Selbstbefriedigung?“, fragte eine junge Feministin provozierend. (…) Anselm Grün antwortete souverän und zugleich so natürlich: „Wissen Sie, ich bin ein Mann. Ich möchte ganz in meinem Leib zu Hause sein. Wenn ich das bin, dann bin ich auch mit meiner Sexualität in Tuchfühlung. Als zölibatärer Mensch lebe ich meine Sexualität nicht genital. Aber ich stelle mich manchmal im Abenddunkel, oft im Frühling und Sommer, ans offene Zimmerfenster. Ich spüre dann den Lufthauch auf meinem Körper, fühle den Wind auf meiner Haut und lasse mich so liebkosen. Ich bin auf diese Art und Weise mit meiner sexuellen Kraft in Berührung, ohne dass ich sie geschlechtlich auslebe.““
Eine weitere Geschichte, die mir zugetragen wurde, ist folgende: Eine junge Frau, die im Begriff war, ins Kloster einzutreten, hatte starke Probleme mit dranghafter Selbstbefriedigung. Deswegen litt sie unter grossen Schuldgefühlen. Sie wollte die Selbststimulation unbedingt endgültig sein lassen, bevor sie ins Kloster eintrat. Weil die Frau sich selbst derart unter Druck setzte, empfahl ihr die Oberin eine psychologische Beratung und diese Therapeutin ihr dann eine Sexualberatung. Die Sexualtherapeutin schlug der Frau vor, sich erst auf einen Prozess einzulassen, die Selbstbefriedigung und den eigenen Körper zu geniessen und in ein gesundes Verhältnis dazu zu kommen. Wenn das gelinge, könne sie sich auch frei dazu entschliessen, auf Selbstbefriedigung zu verzichten oder sie aber beibehalten. Der gesunde Prozess ist gelungen und die Frau ist ins Kloster eingetreten. Ob die Ordensfrau ihre körperliche Sehnsucht nun auf diese Weise weiter stillt, ist mir nicht bekannt, doch wichtig scheint mir der Weg, den sie mit sich selbst und ihrer Genitalität zurückgelegt hat.
Ich denke, es ist wichtig, grundsätzlich zu unterscheiden zwischen der eigenen Sexualität (Selbstliebe) und der Paarsexualität. Als Ordensfrau verzichtest Du auf die Ehe oder ein andere menschliche enge und körperliche Beziehung, um in erster Linie ganz frei zu sein für Gott, aber auch für Menschen und deren soziale Anliegen. Damit verzichtest Du auf Sex mit einem Dir nahestehenden Menschen. Ob Du damit aber gleichzeitig auf persönliche körperliche intime Empfindungen, Streicheleinheiten oder Stimulation verzichten möchtest, ist nochmals eine andere Fragestellung und Entscheidung. Auf jeden Fall finde ich es wichtig, dass Du, wie Anselm Grün es ausdrückt, ganz Frau sein kannst, auch mit einem Bewusstsein für Deine Genitalität und mit der Anerkennung Deiner Sehnsüchte nach Nähe und Zärtlichkeit.
Die bedeutende Universalgelehrte Hildegard von Bingen (1098 – 1179), Benediktinerin, Äbtissin, Dichterin und Komponistin notierte in ihren Notizen, Mädchen würden ab dem zwölften Lebensjahr bei "schlüpfrigen Fantasien" den "Schaum der Wollust" auswerfen und die weibliche Sexualität lasse ihren Forschungen zufolge erst ab dem 70. Lebensjahr nach. Hildegard von Bingen lieferte zudem die erste detaillierte Schilderung eines weiblichen Orgasmus: "Ist die Frau in Vereinigung mit dem Manne, so kündet die Wärme in ihrem Gehirn, die das Lustgefühl in sich trägt, den Geschmack dieses Lustgefühls bei der Vereinigung vorher an. Fast gleichzeitig damit ziehen sich die Nieren der Frau zusammen, und alle Teile, die während des Monatsflusses zur Öffnung bereitstehen, schließen sich so fest, als wenn ein starker Mann irgendeinen Gegenstand in seiner Hand fest verschliesst." Sexualität war für Hildegard von Bingen genauso eine Gottesgabe wie Nahrung oder die Freuden der Musik.
Ich stelle mir vor, dass Hildegard von Bingen durchaus eigene Erfahrung mit ihrer Sexualität und ein unverkrampftes Verhältnis dazu hatte, um sie auf diese Weise beschreiben zu können. Natürlich stellt sich für jeden persönlich auch die Frage, ob Zärtlichkeit und Sexualität mit sich selbst die empfundene Sehnsucht stillt und einen nährt, oder ob es einen noch mehr in die Sehnsucht treibt. Doch es gilt auch zu Bedenken, was die Sexologin und Institutsleiterin Esther Elisabeth Schütz in einem Interview gegenüber dem Katholischen Medienzentrum kath.ch sagte: “Nur wenige Menschen können Sexualität sublimieren.” (Auf eine höhere Ebene in künstlerische, sportliche, kulturelle, soziale Leistung o. Ä. umsetzen.)
Esther Elisabeth Schütz wurde vom Medienzentrum interviewt aufgrund der vielen Missbrauchsskandale innerhalb der katholischen Kirche und der Aussage eines Bischofs, der diese mit Homosexualität in Verbindung brachte. Sie führt im Gespräch aus: “Die Liebe zu sich selbst heisst unter anderem, den eigenen Körper in seiner Ganzheit anzunehmen und wertzuschätzen.” Dazu gehören, wird sie weiter zitiert, die Geschlechtsorgane mit ihrer Fähigkeit der sexuellen Erregung ebenso wie die eigenen Gefühle. Ungeachtet ob jemand zolibatär oder in einer Beziehung lebe, können Männer und Frauen in der Selbstbefriedigung die sexuelle Erregung mit ihren Emotionen verbinden lernen und sie als positive Kraft menschlichen Daseins autonom leben. Schütz betont, in diesem Sinne sei Selbstbefriedigung gesellschaftlich und von der Kirche als “gleichwertige Form der Sexualität anzuerkenn wie jene zwischen zwei Menschen.”
Tatsächlich kann man aus diesem Statement erahnen, dass die Kirche mit ihrer Haltung zur Selbstbefriedigung als eine „zutiefst ungeordnete Handlung“ mehr Probleme schafft, als löst. Wenn Du Dich für eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Thema Sexualität interessierst, empfehle ich Dir das Buch der Nonne Margarete A. Farley VERDAMMTER SEX. Weiter lesenswert für Deine Fragestellung der Sehnsucht wären zudem zwei Büchlein von Anselm Grün: MIT ALLEN SINNEN GOTT ERFAHREN und MYSTIK UND EROS
Liebe Mathilda, ich wünsche Dir, dass Du einen Prozess mit Deiner Sexualität erfahren kannst, in dessen Folge Du in Freiheit wählen kannst zwischen dem Genuss der Selbstliebe in gesundem Rahmen oder dem Freisein, Selbstliebe auf der genitalen Ebene aus eigenem Entschluss zu lassen, ohne auf Formen der Sinnlichkeit in Deinem Leben verzichten zu müssen.
Herzliche Grüsse – Veronika
by Veronika Schmidt in Beckenschaukel, Buch, Ehesex, Liebe, Lust, männliche Sexualität, Rollenbilder, Selbstverantwortung, Sexualität allgemein, sexuelle Komponenten, weibliche Sexualität, Zusammenleben, 2018
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