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Liebesbegehren – Veronika Schmidt

February 22, 2018

DIESE HERREN NERVEN - SEXISMUS IN DER KIRCHE

by Veronika Schmidt in Gleichberechtigung, Gott, Sexueller Missbrauch, Sexismus, Rollenbilder, 2018


VERONIKA SCHMIDT - JOYCE 1-2018

VERONIKA SCHMIDT - JOYCE 1-2018

VERONIKA SCHMIDT - JOYCE 1-2018

VERONIKA SCHMIDT - JOYCE 1-2018

AUSGEHEND VON #MEETOO ENTWICKELTE SICH EINE WELTWEITE DEBATTE UM SEXUELLE GEWALT, DIE SO SCHNELL NICHT WIEDER VERSCHWINDEN DÜRFTE. AUCH FÜR UNSERE CHRISTLICHE LEBENSWELT IST DAS EIN THEMA, MIT DEM WIR UNS BESCHÄFTIGEN MÜSSEN, STELLT DIE SCHWEIZER SEXUALTHERAPEUTIN VERONIKA SCHMIDT FEST.

DIESE HERREN NERVEN - PDF

 

„Diese Herren nerven“, sagte die höchste christliche Politikerin der Schweiz angesichts von Sexismusvorwürfen im Bundesparlament. Der hauptsächlich im Kreuzfeuer stehende Parlamentarier gehörte zu ihrer Partei. Der Familienvater war einst im Komitee der „Sexkoffer-Initiative“, die den Sexualunterricht im Kindergarten und der Primarschule ablehnte. Einmal mehr – je lauter die Moralapostel, desto mehr Dreck am Stecken.

Lange nicht alle Herren nerven. Viele Männer sind in den vergangenen Jahren sensibel auf Diskriminierung geworden und haben längst erkannt, dass Mann und Frau ihr Potenzial nur gemeinsam sinnvoll und für die Menschheit gewinnbringend ausschöpfen können. Macht hat zwar kein Geschlecht, auch Frauen nerven, aber in unserer Gesellschaft haben mehr Männer Macht, die sie missbrauchen können. Und, Hand aufs Herz: Ist in der christlichen Lebenswelt den Männern Macht nicht per se gegeben? Ist die jahrhundertelange Ungleichstellung der Frau nicht sogar Sexismus pur? So selbstverständlich, dass es kaum einem auffallen will? Wird die Diskriminierung der Frau als gottgegeben angesehen, nicht nur von Männern? Im Buch „Alltagslust“ schreibe ich: „Nicht nur unerwünschte Berührungen und anzügliche Sprüche sind Sexismus, sondern ebenso die gezielte Benachteiligung eines Geschlechts, auch, indem Bibelstellen wahllos ohne kulturellen und zeitgeschichtlichen Zusammenhang und ohne den Kontext der Bibel selbst zitiert werden.“

Sexismus in der Kirche

Wir denken vielleicht, sexuelle Belästigung komme in der Kirche nicht vor. Doch die kirchliche Lebenswelt spiegelt die Gesellschaft wieder. Sexismus ist nicht gleich sexueller Missbrauch, aber Sexismus begünstigt sexuellen Missbrauch. Er ist eindeutig Nährboden jeglicher sexuellen Ausbeutung, gedeckt durch die Kultur des Schweigens. Religiöser Sexismus begünstigt zudem geistlichen Missbrauch. Eine Frau erzählte in einer Seelsorgewoche, sie sei missbraucht worden und erhalte ab und zu Avancen von Männern, obwohl diese wüssten, dass sie verheiratet sei. Darauf sagte einer der Seelsorger, sie sei eben eine Frau mit einer erotischen Ausstrahlung. Sprich – sie sei selbst schuld. Mit diesem Vorwurf ist beinahe jede belästigte und missbrauchte Frau konfrontiert. Auch die junge Frau, die anschließend an eine Ehevorbereitung in einem Einzelgespräch vom Pastor zu sexuellen Handlungen genötigt wurde. Er wusste von ihrem vorehelichen Sex.

Die Philosophieprofessorin Kate Manne sagt: „Sexismus ist diejenige Abteilung des Patriarchats, die für die Rechtfertigung der sozialen Ordnung verantwortlich ist: Es handelt sich um eine Ideologie, die Männer und Frauen aufgrund der ihrem Geschlecht zugesprochenen Fähigkeiten diskriminiert, obwohl die wissenschaftlich nicht belegt sind. (…) Sexismus ist eine Theorie – Frauenfeindlichkeit schwingt die Keule.“*

Eine typische 90er-Jahre Frauenkeule kenne ich aus der Beratung – und wurde mir selbst um die Ohren gehauen: Frauen, die sich autoritärem männlichen Gehabe entgegenstellten und sich wehrten, nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere, wurden (zum Teil sogar öffentlich) bezichtigt, vom Geist der Isebel besessen zu sein.

Latenter Sexismus in der christlichen Lebenswelt

Latenter Sexismus in der christlichen Lebenswelt bedeutet oft einfach, du wirst ignoriert, weil du eine Frau bist. Du wirst für eine wichtige Aufgabe nicht gefragt, auch, weil du Konkurrentin werden könntest. Dein Name wird trotz deiner Verdienste nicht erwähnt, aus Versehen. Du hörst blöde Kommentare, wirst gönnerhaft behandelt und unnötig belehrt. Oh ja, und auch gläubige Männer machen Sprüche zu Figur, Dekolleté und Beinen. Die Kleidung, nur der Frauen, ist ein Thema. In meiner Jugendgruppenzeit wurden wir Mädchen in wirklich hässliche Diskussion darüber verwickelt. Das war Ende der 70er-Jahre, und die uns kritisierenden Herren trugen hautenge weiße Jeans, unter denen sich ihr Penis deutlich abzeichnete.

Einst als Jungscharleiterin konfrontierte mich ein Ausbildner ungefragt mit einem sexuellen Geständnis. Er wollte wissen, was ich dazu meine, dass er sein kleines Patenkind-Mädchen jeweils mit Zunge küsse, ob das wohl okay sei. Damals realisierte ich erstmals die christliche Doppelmoral, mit der ich schlicht nicht umzugehen wusste. Was ich heute darüber denke? Dieser Mann wusste ganz genau, dass er Unrecht tat. Männer welche (verbal) belästigen, angrapschen, vergewaltigen und ihre Frauen zu Dingen zwingen, die diese nicht wollen, wissen um das Unrecht. Aber sie denken, sie hätten ein Recht darauf.

Sexismus überwinden

Wir leben in einer Welt, in der mächtige (geistliche) Männer ihre Position ausnützen. Das wollen heute viele Frauen zu Recht nicht mehr hinnehmen und brechen ihr Schweigen. Ausgehend von #metoo entwickelte sich eine weltweite Debatte um sexuelle Gewalt, die so schnell nicht wieder verschwinden dürfte. Sie wird auch die christliche Lebenswelt erfassen. Noch zu oft werden Frauen, welche sexuellen Missbrauch in der christlichen Lebenswelt anprangern, als psychische Wracks diffamiert. Zu oft werden Familien vom Gemeindevorstand zum Schweigen genötigt und von Anzeigen abgehalten, wenn diese den Missbrauch ihrer Kinder öffentlich machen wollen. Noch wird der Ruf der Gemeinde oder der Mission über das Einzelschicksal gestellt. Noch werden skrupellos staatliche Gesetze unter dem Vorwand und Vorzug der Beichte umgangen. Je geschlossener und abgeschotteter eine Gemeinschaft ist, desto grösser ist die Gefahr von Sexismus, Missbrauch und Schweigen. Diese Gefahr richtet sich ganz klar gegen Frauen und Kinder.

Die religiöse Diskriminierung der Frau kann geschichtlich hergeleitet werden. Ein paar „Anekdoten“ der Kirchenväter gefällig?  Tertullian (160-225): „Die Frau ist eine betörende Verführerin und hat die Schuld am Leiden der Menschheit.“ Epiphanius (315-403): „Die Frau ist leicht zu verführen und hat keinen großen Verstand und ist schwach.“ Augustinus (354-430): „Das Weib ist ein minderwertiges Wesen, das von Gott nicht nach seinem Ebenbilde geschaffen wurde. Es entspricht der natürlichen Ordnung, dass die Frauen den Männern dienen.“ Thomas von Aquin (1225-1275) („Die Frau ist eine minderwertige Fehlkonstruktion“) führte das Entstehen der Frau auf eine Schwäche des Samens zurück.

Noch immer wird in freikirchlichen Kreisen theologisch ausgebildeten Frauen die Ordination verweigert, wird darüber gestritten, ob Frauen leiten, „lehren“ oder nur „unterrichten“ dürfen. Mit der Bibel Argumentierende beschwören zwar die Schöpfung durch Gott, nehmen sich aber nicht die Mühe, von der Schöpfung selbst zu lernen. Denn sonst wüssten sie, dass unsere Genitalien bis zur 7. Schwangerschaftswoche alle gleich sind, nämlich weiblich(!). In der 8. Woche beginnt im Körper von Embryos mit männlicher Anlage die Produktion von männlichen Hormonen. Die winzigen Schamlippen schliessen sich und formen sich zur sogenannten Penisnaht, die von der Vorhaut über das Vorhautbändchen und den Hodensack bis zum Damm verläuft. Selbst wenn ab der 12. Schwangerschaftswoche die unterschiedlichen Genitalien ersichtlich werden, setzen sie sich doch aus denselben Bestandteilen zusammen, nichts davon geht verloren. Die Klitoris der Frau ist ein Penis. Aus der Schöpfung selbst ist kein Vorrang des Männlichen abzuleiten, im Gegenteil. Die Bibel selbst bestätigt, indem sie Paulus sagen lässt: Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus. (Galater 3,28)

Nicht nur in der Gesellschaft, auch innerhalb der Kirche beenden wir sexuelle Gewalt nur, wenn auf Gleichheit bedachte Rollen- und Familienmodelle zur Normalität werden. Denn patriarchale Strukturen bildeten den Nährboden für Sexismus und Gewalt. Deshalb ist es wichtig, dass auch Frauen innerhalb christlicher Gemeinschaften über negative Erfahrungen nicht mehr schweigen. Und es ist ebenso wichtig, dass Frauen lernen, Einfluss zu wollen, klare Ansagen zu machen und Grenzen zu setzen. Dass sie nicht erwarten, sondern handeln. Dass sie sich selbst und laut sagen: „Ich werde reden – ich werde gehört werden!!!“

Veronika Schmidt arbeitet als Paar-, Familien- und Sexualberaterin und lebt mit ihrer Familie in CH-Schaffhausen. Sie ist Autorin der beiden Bücher „Liebeslust – Unverschämt und echt genießen“ und „Alltagslust – Ganz entspannt zum guten Sex“ (jeweils SCM).

* http://www.zeit.de/kultur/2017-11/sexismus-frauenfeinlichkeit-misogynie-kate-manne

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February 15, 2018

WENN NUR DIE SELBSTBEFRIEDIGUNG NICHT WÄRE...

by Veronika Schmidt in Aufreger, Bibel, Buch, Porno, Selbstbefriedigung, Selbsterfahrung, Selbstverantwortung, Sexualität allgemein, Solosex, Sünde, 2018


foto: alex boyd

foto: alex boyd

foto: alex boyd

foto: alex boyd

Selbstbefriedigung ist und bleibt der Dauerbrenner und wird, so glaube ich, einfach nicht verstanden. Deshalb versuche ich wieder einmal, etwas dazu zu erklären. Wenn ich Kritik via „Hörensagen“, direkt oder per Mail zu meiner Tätigkeit oder zu meinen Büchern einstecke, dann praktisch nur zum Thema Selbstbefriedigung. Vor kurzem sah ich ein paar Buchrezensionen zu meinem Buch ALLTAGSLUST. Allgemein waren sie sehr wohlwollend. Ausser eben…


In einer dieser Rezensionen steht: "(…) würde ich mir aber mehr Achtung für das Gewissen des Einzelnen wünschen. So ist die Selbstliebe, eine verschönte Bezeichnung für Selbstbefriedigung, für sie (Veronika Schmidt) eine wichtige Grundlage zum Erlernen der sexuellen Liebesfähigkeit, denn wer nicht weiß, was ihm guttut, wird schwerlich befriedigt werden. Ich denke aber, dass dieses Erlernen auch im Miteinander der Beziehung geschehen kann, und dass „Selbstliebe“ nicht dafür die Voraussetzung sein muss. Ob Selbstbefriedigung in Ordnung ist, ist in christlichen Kreisen umstritten. Es kann nicht richtig sein denjenigen, der dabei ein schlechtes Gewissen hat, zur Selbstbefriedigung zu drängen. Letztendlich sollte jeder selbst entscheiden, ob die Maßstäbe der Bibel für ihn uneingeschränkt gültig sind, oder ob er sie lieber durch moderne, wissenschaftliche „Erkenntnisse“ relativieren will. In der Bibel findet sich gottgewollte Sexualität immer innerhalb einer Beziehung, zwischen Ehemann und Ehefrau."

Und in einer anderen: "(…) Zwei Dinge habe ich aber trotzdem zu bemängeln. Zum einen die Ausführungen zum Thema Selbstbefriedigung, die für mich eher wie eine lange Rede um den heißen Brei wirken, ohne wirklich eine Aussage zu treffen. Dazu kommt, dass ich generell Bibelstellen vermisse. Es handelt sich ja um einen Sexualratgeber für Christen, warum zitiert man dann Jörg Zink, anstatt die Bibel. Das habe ich, auch wenn ich die Zitate sehr treffend und schön finde, nicht ganz begriffen."

Ja, die Bibelstellen. Christen suchen immer nach Bibelstellen. Um zu beweisen, zu rechtfertigen und sich in moralischen Fragen zu orientieren. Christen sind versessen auf Details. Als wäre die Bibel ein Lebenshilfe-Buch. Ist sie natürlich, aber nur im globalen Sinn. Biblische Orientierung ist eine im grossen Bogen. Letztlich dem grossen Bogen der Liebe. Der Liebe Gottes zu uns Menschen und der daraus folgenden Liebe zueinander. Daraus resultiert Gnade und Barmherzigkeit. Das hilft mir persönlich, um mich in Details des Lebensalltags zu orientieren. Es gab ja mal die grosse Bewegung WWJD (what would Jesus do). Gerade in Bezug auf sexuelle Themen lebte Jesus explizit Liebe und Barmherzigkeit und nicht Gesetzlichkeit. Ich habe jede nur erdenkliche Bibelstelle zum Thema Sex in LIEBESLUST oder in ALLTAGSLUST oder in jeweils beiden Büchern verwendet. Mehr* gibt die Bibel dazu beim besten Willen nicht her. Ausser wir projizieren unsere Haltung aus vorgefassten und vorgeprägten Meinungen in sämtliche Bibelstellen zu Unzucht und Ehebruch - mit dem bekannten Resultat der Verdammung.

Diese zwei Rezensionen haben mir die Augen dafür geöffnet, was das Missverständnis im Thema sein könnte, das mir bis anhin vielleicht auch nicht so recht klar war. Unsere Missverständnisse sind ja immer Kommunikationsprobleme. Was der Absendende einer Botschaft rüberbringen will, wird oft vom Empfangenden ganz anders verstanden. Grund sind unserer Prägungen, Brillen, Ohren, Dogmen, Wertvorstellungen, unser jeweiliger Lebens- und Glaubenskontext - ich höre, was ich zu hören glaube.

Der Augenöffner ist für mich die Aussage, ich redete zum Thema Selbstbefriedigung um den heissen Brei herum, ohne wirklich eine Aussage zu treffen. Erst dachte ich: Hallo???... das Buch ALLTAGSLUST ist eine einzige Aussage zu Selbstbefriedigung… wie kann man das übersehen! Und dann realisierte ich, dieser Person fehlten nicht Erklärungen zur Selbstbefriedigung als Sache an sich, sondern die moralische Rechtfertigung und Begründung dazu. Das Missverständnis baut sich auf zwischen MORAL und LEBENSPRAXIS. In diesen zwei konkreten Fällen steht die Lebenspraxis offenbar für suspekte „moderne, wissenschaftliche `Erkenntnisse`“. In der Buchbesprechung eines Onlineportals stand deswegen, ich hätte einen „beliebigen, säkularen" Ratgeber geschrieben. Ich wäre im Buch "fachlich, aber nicht geistlich". Was zwischen den Zeilen auch heissen könnte: "Ist sie überhaupt richtig gläubig – GLINUS**?"

Was gibt es dazu zu sagen, die Moral ist schnell abgehandelt:

Zu Selbstbefriedigung findet sich rein gar nichts in der Bibel, nichts, nada!
Selbstbefriedigung ist nur "gefühlt" unanständig. Aus der Bibel lässt sich für Selbstbefriedigung keine moralische Rechtfertigung aber auch keine moralische Verdammung ableiten. Eine Rechtfertigung lässt sich nur aus der Schöpfung selbst und ihrer Erforschung erkennen. Doch offenbar ist die Schöpfung (und damit der Schöpfer?) "suspekte moderne `Erkenntnis`". Wenn in der einen Rezension als Begründung gegen Selbstbefriedigung steht, dass in der Bibel gottgewollte Sexualität immer innerhalb einer Beziehung zwischen Ehemann und Ehefrau stattfindet, dann wird hier schlicht und einfach dem Thema Selbstbefriedigung Gewalt angetan, die eigene Meinung in die Bibel hineininterpretiert. Dann wird Paarsexualität als einzige Form der Sexualität anerkannt, alles andere ist Sünde. Die Selbstliebe (dieses Wort gilt als „beschönigend“) wird als schöpfungsmässig gegebener Entwicklungsschritt, als Lernfeld oder zur Befriedigung von (sexuellen) Sehnsüchten völlig negiert.

Der Gang um den heissen Brei
Es gibt keinen Gang um den heissen Brei. Meine Aussage ist: Ja, ich bin für Selbstbefriedigung aus verschiedensten Gründen, die man nachlesen kann. Das „Ja“ tropft aus allen Poren meines Blogs und meiner Bücher. Aber ja, Selbstbefriedigung ist freiwillig, kein Zwang. Ich dränge niemanden dazu, auch nicht in der Beratung. Und nochmals, die „biblischen Massstäbe zu Selbstbefriedigung“ gibt es nicht, sehr wohl aber das schlechte Gewissen, weil es uns ab dem 18. Jahrhundert eingetrichtert wurde („Der Untergang der Welt durch Onanie“). Davor war Selbstbefriedigung kein Tabu. Selbst die Kirchenväter waren bezüglich Sexualität nicht zwingend prüde, sofern der Geschlechtsverkehr in der Ehe stattfand. Was man den Kirchenvätern vor allem vorwerfen kann, ist ihre ausgesprochene Frauenfeindlichkeit, die dann sehr wohl sexistisch und schuldzuweisend war. Es würde sich sehr lohnen, ein paar Bücher zur Geschichte der Sexualität zu lesen oder im Internet zu recherchieren.

Die Abwehr kommt aus der eigenen Geschichte
Ekel dem eigenen Körper und allem Sexuellen gegenüber, eigenes Unwissen, moralische Zeigefinger aus Ideologien, Idealisierungen, Glaubenssystemen, Werturteilen und Denkweisen, schlechte Erfahrungen bestimmen unsere Grundhaltung zu Sexualität und wie sie ausgelebt werden kann. Wir sind geneigt, unsere eigenen Erfahrungen auf andere oder in die Bibel hinein zu projizieren.

Ja, Selbstbefriedigung kann zur Sucht werden und damit problematisch
Selbstbefriedigung kann als Ersatzbefriedigung dienen, zum Stressabbau, als Ausweichmittel bei Problemen. Sie kann problematisch werden, vor allem in Zusammenhang mit Pornografie. Alle Genussmittel dieser Welt können uns abhängig machen: Essen, Zucker, Schokolade, Kaffee, Alkohol, Zigaretten, Fernsehen, Computerspiele, Smartphones, Sport, Social Media, Zeitunglesen, Liebesfilme, Liebesromane, Arbeit, Hobbys, Kritiksucht… All das kann uns einsam machen, abhängig, unzufrieden, vom Partner wegbringen.

Lernfeld Selbstbefriedigung

In der Schöpfung angelegt
Wir werden in die Welt geboren – und können – nichts. Was uns mitgegeben wurde, sind ein paar Reflexe: Atemreflex, Saugreflex, Schluckreflex, Klammerreflex usw. Alle unsere Fähigkeiten zum Leben müssen wir uns aneignen, müssen erlernt werden: Sitzen, Laufen, Sprechen, selbständig Essen, Lesen, Schreiben, Rechnen, Kommunizieren, Frust aushalten usw. Gott hat uns Menschen auf eine Weise geschaffen, die uns herausfordert und geradezu zwingt, alles, wirklich alles, aneignen zu müssen in einem Lernprozess. Auch die Sexualität. Sexuelle Lust, sexuelles Begehren, sexuelle Fantasien, emotionale Intensität, sexuelle Selbstsicherheit, Verführung, Liebesgefühl, Kommunikation, erotische Kompetenz, sexuelle Erregung und Erregungssteigerung – alles angelernt. Angelernt sind auch alle Abwehrreaktionen zu Sexualität, geprägt durch Botschaften, die wir erhalten oder nicht erhalten haben, durch unbewusst aufgenommene Reaktionen unserer Umgebung.

Gegeben sind uns allein der Erregungsreflex und das biologische Geschlecht 
Bei Knaben sehen wir den Erregungsreflex bzw. Erektionen unmittelbar, schon beim Säugling. Er greift zudem häufig zum Penis. Der Knabe, bzw. der Mann kommt zur Welt und hält seinen Penis in der Hand, um ihn nicht mehr loszulassen bis zu seinem Tod. Aus genau diesem Grund ist für den Mann der Zugang zu seiner Sexualität viel leichter als für die Frau. Für ihn ist sich anfassen und Erregung und Erektion selbstverständlich, was im Kindesalter keinerlei sexuelle Komponente hat, sondern sich einfach gut anfühlt. Entsprechend bilden sich in seinem Hirn Synapsen für Berührung, Wahrnehmung und Erregung seines Geschlechtsorgans. Es gibt praktisch keinen Mann, der sich nicht im Laufe seiner Entwicklung irgendwann selbst befriedigt.

Frauen besitzen selbstverständlich ebenfalls den Erregungsreflex, aber Frauen können ihre eigene Erregung nicht automatisch sehen. Sie können sie höchstens fühlen, doch auch das nehmen viele Frauen gar nicht war. Weshalb viele von ihnen nicht auf die Idee kommen, sich unten anzufassen und zu stimulieren. Oder wenn sie es tun, werden sie ermahnt und davon abgehalten. Frauen erzählen mir häufig, dass sie als Kleinkinder auf dem Boden schaukelten oder sich dagegen pressten, geschaukelt hätten auf einem Stuhl oder Schaukelpferd, sich angefasst hätten, aber dann davon abgebracht wurden. Vielen Frauen fehlen die entsprechenden Erregungserfahrungen durch die Entwicklung hindurch - ausser den „bösen“ Mädchen. Und somit fehlen ganz vielen Frauen die Synapsen im Hirn für Erregung und Erregungssteigerung und Wahrnehmung derselben, vor allem auch für den Innenraum der Vagina. Deshalb können sie nicht durch die Bewegungen des Beckens und des Beckenbodens beim Geschlechtsverkehr und durch die Berührungen des Penis zum Orgasmus kommen, sondern brauchen die äusserliche Stimulation. Was vollkommen in Ordnung ist - doch Frauen wünschen sich eben manchmal auch das andere.

Brachland Information
Oft bekommen Kinder und Jugendliche im Elternhaus keine Informationen zu ihrer sexuellen Entwicklung. In der christlichen Lebenswelt hören sie dafür später die mahnenden Botschaften, aber keine Ermutigung. Inzwischen werden zwar Kinder und Jugendliche aufgeklärt. Das bestätigen erfreulicherweise viele junge Paare in meinen Vorträgen. Doch die Auseinandersetzung mit Selbstbefriedigung, sexueller Identität, sexueller Selbstsicherheit, sexueller Eigenverantwortung und Informationen zu Sexualität an sich sind darin meist nicht enthalten. Im Gegenteil – selbst ganz junge Christen bekommen immer noch das Selbstbefriedigungsverbot zu hören – wenn auch vielleicht nicht mehr von Gemeindeverantwortlichen, sondern von Jugendgruppenleitern oder auch Gleichaltrigen. Der „Ehrenkodex“ mit Selbstoffenbarung und Rechenschaftspflicht hat sich mit dem Problemkreis Pornografie eher sogar wieder verstärkt.

Keine erfüllte Sexualität der Frau ohne Selbstbefriedigung
Ich kenne keine einzige Frau mit einer schon in jüngeren Jahren erfüllt erlebten Sexualität und Orgasmusfähigkeit, die sich nicht entweder in der Jugend selbst befriedigt hat oder sich später auf einen Weg der Selbstentdeckung begab. Und ich kenne keinen einzigen Ehemann, der damit ein Problem hätte, im Gegenteil. Aber ich kenne haufenweise Frauen, die den Sex erst in der zweiten Lebenshälfte geniessen können, weil sie so lange brauchten, ihren Körper zu entdecken - und haufenweise darob frustrierte Ehemänner.

Die grösste Hürde der unerfahrenen Frau ist, dass sie weder weiss, wie sich ein Orgasmus anfühlt, noch wie sie die Erregung dahin steigern kann. Mir wird immer wieder gesagt, das kann man doch mit dem Mann zusammen entdecken. Kann man, selbstverständlich. Wenn wir aber davon ausgehen, dass wir neu erlernte Fähigkeiten Tausend Mal wiederholen müssen, bis sie sitzen, dann rechne, wie oft ein Paar Sex haben sollte, bis dieser vor allem für die Frau erfüllend wird… Die Krux ist nur, dass Frauen gar keinen Sex wollen, solange er ihnen keinen Spass macht, ausser bis zum erfüllten Kinderwunsch. Üben, üben, üben gilt auch für den Sex.

Keine erfüllende ganzheitliche Orgasmus-Wahrnehmung beim Mann, ohne sinnvolle Selbstexploration
Da Jungs nur mahnende Informationen zu Selbstbefriedigung bekommen, erfahren sie oft nicht, dass ihr Rubbelmodus unter hohem Druck der Hand und grosser Anspannung im Körper den kleinstmöglichen Genuss bringt – die kurzfristige Entladung und Erleichterung. Da „es“ aus besagten Gründen schnell über die Bühne gehen muss, wird dieser Modus laufend verstärkt und der Genuss bleibt auf der Strecke. Das bleibt für viele Männer auch in der Paarsexualität so, einfach, weil sie es nicht besser wissen und gelernt haben. Das macht sie nicht gerade zu tollen Liebhabern, und für sie selbst ist noch viel Genusspotenzial zu entdecken, vor allem via Langsamkeit und bewusste Wahrnehmungs- und Atemschulung. Auf diese Weise wird der Sex auch zu nährendem Sex.

Das Suchtproblem
Zur Suchtproblematik steigert sich die Selbstbefriedigung vor allem durch Pornokonsum. Dabei liegt das Problem der Pornografie- und Selbstbefriedigungsspirale genau in diesem mechanischen Modus versteckt: Heimlich, schnelles Rubbeln, viel Druck, Atem anhalten, schnelle Entladung, die oft nicht mal recht wahrgenommen wird, oftmals bei grosser Häufgkeit gar keine richtige Entladung mehr, dann zunehmend auch Erektionsprobleme (unabhängig vom Alter). Auf diese Weise ist im Körper ganz wenig bis keine Wahrnehmung vorhanden, denn Augen und Kopf sind nach aussen gerichtet. Damit die körperliche Aufladung überhaupt noch funktioniert, müssen die optischen Reize zudem immer stärker werden.

Ein gänzlicher Verzicht auf Selbstbefriedigung wird dieses Problem nicht lösen, weil wir das Schädliche nicht durch etwas Hilfreiches ersetzten, sondern nur ein Vakuum schaffen. Dieses Vakuum können wir zwar auch anderweitig sinnvoll füllen, sprich sublimieren. Doch damit haben Männer noch nichts Neues gelernt für ihre sexuelle Entwicklung und Erfüllung und nichts für die Paarsexualität.

Grosses Kino
„Grosses Kino“, sagte mir kürzlich ein junger Ehemann nach einem Vortrag und drückte mir dankend die Hand zum Abschied. Ihr lieben „Moralapostel der Selbstbefriedigung“ da draussen. Ihr wisst gar nicht, wie frustriert Ehemänner und Ehefrauen über ihre erlebte Sexualität sind, und wie sehr sie sich nach lustvollen Erlebnissen miteinander sehnen. Und das wirklich Schöne daran ist – man kann das lernen, wenn es einem erlaubt ist. Für diese Erlaubnis werde ich mich weiterhin mit aller Kraft einsetzen – gegen alle Widerstände.

Herzliche Grüsse - Veronika

 

*  Es gibt in den diversen Lebensgeschichten der Bibel natürlich noch viel mehr sexuelle Szenen, deren Interpretation einige interessante Ansätze zu Tage fördern könnte über Gottes Haltung zu Sex. Doch diese waren nicht geeignet, um Sex als lernbare Fähigkeit zu vermitteln oder das Zusammenleben von Liebespaaren zu illustrieren.

** GLINUS = Insiderbegriff für „gläubig in unserem Sinne".


Zum Thema:

Der grösste Aufreger in der Kirche Teil 1

Der grösste Aufreger in der Kirche Teil 2

BLOG-Beiträge mit dem Stichwort SELBSTBEFRIEDIGUNG

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February 8, 2018

ICH BIN VOLLER WUT ÜBER UNSEREN START IN DAS EHE-SEXLEBEN

by Veronika Schmidt in Aufklärung, Aufreger, das erste Mal, Ehe, Ehesex, falsche Scham, Gott, Liebe, Lust, Schmerzen beim Sex, Selbsterfahrung, Sex vor der Ehe, Stress, Sünde, Zusammenleben, 2018


foto:christopher campell

foto:christopher campell

foto:christopher campell

foto:christopher campell

Liebe Veronika

Mein Mann und ich sind seit Frühling 17 verheiratet. In der Freundschafts- und Verlobungszeit behielten wir immer brav die Kleider an und haben nicht miteinander geschlafen, obwohl ich mir das hätte vorstellen können. Für meinen Mann aber war klar, dass wir damit warten bis zu den Flitterwochen. Ich hatte zwar schon meine Bedenken, ob das dann für mich von null auf hundert einfach so möglich würde. Der Erwartungsdruck war dann, auch von mir aus, in der Flitterwoche gross, weshalb wir „zu üben“ begannen. Leider hatte ich starke Schmerzen dabei und fand es ungerecht, dass ich litt, währen es für ihn lustvoll war. Doch auch mein Mann war frustriert, weil ich, ebenfalls aus Frust, die Sexualität grundsätzlich in Frage stellte und mir mein früheres Leben zurück wünschte.

Irgendwann wurde uns dann klar, dass wir mit dem ganzen „Kein Sex vor der Ehe“ – „Bund schließen“ – „Eins werden“ grundsätzlich etwas falsch verstanden haben mussten. Ich wurde so wütend auf meinen Mann, alle Menschen und alle frommen Gemeinden, die das lehren und uns so geprägt haben. Ich stellte einmal mehr die ganze freikirchliche Kultur in Frage. Weshalb wurde uns nicht gelehrt, dass Liebe, Individualität, Grenzen beachten, persönliche Freiheiten, Freiheit überhaupt so viel grundlegender sind als die „ach so bibelfundierten Vorschriften“?

Inzwischen haben wir uns als Paar und in der Sexualität praktisch weiterentwickelt und erleben immer wieder erfüllenden Sex, wir beide. Wir sind uns bewusst, dass die Flitterwochen katastrophal waren und haben schon oft darüber gesprochen. Mein Mann sagt, man könne das einander vergeben und dann sei gut. Das haben wir auch getan. Aber nur funktioniert es bei mir nicht. Ich bin immer noch voller Wut, wenn ich an unsere Erfahrungen denke, auch darüber, wie leichtgläubig wir Christen alle Dogmen für wahr halten und unser Innerstes dafür aufopfern. Leider habe ich Deinen Blog erst im Spätsommer entdeckt - aber besser als nie! - und damit viel Hilfreiches, wie z.B. den Vortrag von Siegfried Zimmer zum Thema.

Was würdest Du mir empfehlen? Wie soll ich mit dieser Wut umgehen? Mein Mann sagt, ich solle nicht so sehr auf die Vergangenheit fokussieren und diese Erlebnisse loslassen. Manchmal gelingt es wirklich ganz gut. Doch gelegentlich denke ich an die Flitterwochen zurück und könnte kotzen. Ich bedaure sehr, wie unsere Intimität in ihrem jungen Wachstum so unter Druck und Zwang gekommen ist.

Vielen lieben Dank für Deine Arbeit. Grüße von Sandrine, 32 Jahre


Liebe Sandrine

Ich kann Deine Wut über die geschilderten und bestehenden Umstände gut verstehen, da Ihr zwei auch nicht mehr zwanzig seid. Ich meine auch, Deine Wut zu verstehen, weil ich sie selbst kenne, denn sie ist vermutlich in einem persönlichen Gerechtigkeitsempfinden aus Deinem Charakter heraus begründet. Die Frage ist jetzt nur, wie Du die Wut als positive Triebfeder zum Guten nutzt, vor allem für Dich und Deine Beziehung, aber vielleicht auch für andere Menschen. Doch beginnen möchte ich an einem anderen Ende: Ich freue mich für Euch, dass Ihr in so relativ kurzer Zeit zu für Euch beide erfüllendem Sex gekommen seid!

Denn ich kann Dir versichern, für viele Paare löst sich der Sexfrust nicht so schnell in Wohlgefallen auf, manchmal über Jahre nicht. Und was ich Dir auch versichern kann, Anfangsschwierigkeiten müssen alle Paare überwinden, egal, wann sie mit dem Sex zu experimentieren beginnen. Das gehört zum Lernprozess dazu. Doch was Dich wütend macht, ich weiss, ist etwas ganz anderes. Nämlich, dass einem niemand etwas zu Sex sagt, ausser „warten“. Denn die Anfangsschwierigkeiten könnten problemlos überwunden werden, wenn entsprechendes Wissen vorhanden wäre. Das wirklich Schlimme an der freikirchlichen Sexdoktrin ist nicht das DÜRFEN oder das NICHT-DÜRFEN, sondern das WISSEN bzw. NICHT-WISSEN, also die ganzen Informationen über Sex, die in der christlichen Lebenswelt nicht zu haben sind.

Weil dem so ist, kommt der Einstieg ins Sexleben sehr abrupt, entgegen aller romantischer Vorstellungen und Erwartungen. Vor allem für die Frau, die mit sich selbst und ihrem Körper keine sexuellen Erfahrungen gemacht hat. Männer bringen diese Erfahrungen in der grossen Regel mit und können es kaum erwarten, endlich Sex zu haben. Ihrerseits sind sie dann eben frustriert, weil sie sich gar nicht vorstellen konnten, dass Frauen Sex nicht auf Anhieb geniessen. Alles ein riesiger Mangel an Informationen auf beiden Seiten, gespickt voller Missverständnisse und enttäuschter Erwartungen.

Und jetzt muss ich Deinem Mann Recht geben: Lass Deine Wut los, sie zieht Dich nur runter und bindet Dich in unguter Weise an die sexuelle Gesetzlichkeit, die Du ja überwinden willst. Oder sie verleitet Dich zum Angriff, der zum für Dich ebenfalls schädlichen Bumerang werden kann. Groll macht Dich unfrei und keineswegs glücklich. Geh davon aus, dass Jesus mit Dir ist und Dich versteht, also geh zu ihm, um frei zu werden. Er hat freisetzende Gedanken zur Sexualität, die aus der Tatsache begründet sind, das Gott uns als sexuelle Wesen geschaffen hat – „und es gut fand“ (1. Mose 1, 31). Meine beiden Bücher können Dich dabei unterstützen.

Freiheit gewinnst Du nur, indem Du alles loslässt, auch die Anklage - und in die Freiheit spazierst. Du gewinnst nichts, indem Du gegen etwas kämpfst, sondern indem Du Dich für etwas anderes, gutes, neues, eine Alternative einsetzt. Das muss nichts grosses sein, kann aber. Zuallererst investiere weiter in die Entdeckung Deiner Sexualität und in Eure gemeinsame Sexualität, seid experimentierfreudig und freut Euch aneinander. Weiter beginne damit, in Deinem allernächsten Umfeld anders über Sex zu sprechen. Nicht kritisierend und anklagend, sondern einfach die Tatsachen und Erkenntnisse in den Raum stellend, auch die negativen Voraussetzungen. Erklärend, helfend und verstehend, positiv unterstützend, lehrend und wer weiss, irgendwann vielleicht auch beratend.

In diesem Sinne wünsche ich Dir totale Weite in Deinem Herzen und erfüllte Sexualität mit Deinem Mann. Herzlich - Veronika

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February 1, 2018

KEIN WEITERES KIND, KEINE LUST, VERHÜTUNG, VASEKTOMIE ETC.

by Veronika Schmidt in Ehe, Keine Kinder, Kinderwunsch, Konflikte, keine Lust, Sex & Kinder, Verhütung, weibliche Sexualität, männliche Sexualität, 2018


foto: annie spratt

foto: annie spratt

foto: annie spratt

foto: annie spratt

Liebe Veronika

Mein Mann und ich haben wundervolle Kinder. Nur leider sind wir in der weiteren Familienplanung nicht gleicher Meinung. Er will auf gar keinen Fall noch weitere Kinder. Er ist da sehr klar und strickt und lässt keine Diskussion zu. Ich hätte sehr gerne weitere Kinder, bin aber vernunftmässig „überzeugt“, dass mein Wunsch nach einer guten Ehe grösser ist als mein Kinderwunsch. Nur mein Herz macht da noch so gar nicht mit. Zudem möchte sich mein Mann gerne einer Vasektomie unterziehen, was mir fast das Herz bricht. Wie schaffe ich es, Sexualität wieder frei und schön zu erleben? Gerade falls er sich wirklich unterbinden lässt (macht er nur in Absprache mit mir). Ich will keine Hormone mehr nehmen, und auf Dauer ist verhüten mit Kondom ja auch nicht so prickelnd, NER* aber ist meinem Mann zu unsicher... Was zeigen Deine Erfahrungen mit Beziehungen, wenn der Partner sich unterbinden lässt?

Danke für Deine Hilfe!
Roswitha, 32 Jahre

 

*Symptothermale Verhütungsmethode


Liebe Roswitha

Ich habe diese Fragestellung gar nicht so selten in der Beratung. Manchmal geht es um das zweite Kind, das dritte oder auch das vierte. Ich möchte Dir zu Deiner Frage ein paar grundsätzliche Gedanken zum Überlegen geben. Ich beobachte immer wieder, wenn der Kinderwunsch auf Seite der Frau ist, dass diese Frauen oft schon als Kinder oder junge Erwachsene ganz bestimmte Vorstellungen hatten, wie viele Kinder sie mal haben werden. Deshalb leben sie in der Erwartung, welche Anzahl Kinder sich für sie „richtig“ anfühlt. Wenn dann diese Vorstellung nicht mit der des Mannes übereinstimmt, sind sie sehr unglücklich und fühlen sich unausgefüllt.

Doch ausgefüllt sollten wir uns eigentlich nicht mit den Kindern fühlen, sondern in uns selbst. Wir sollten uns selbst ganz fühlen und glücklich sein können. Für gläubige Menschen gehört natürlich der Aspekt des Glaubens zum Ausgefülltsein dazu. Sind wir aber nicht zufrieden mit uns selbst und dem, was wir haben, erwarten wir oft zu viel von unserer Umgebung. Vom Job, dem Ehepartner, den Kindern, Freunden, der Gemeinde usw. Kinder sind nicht dazu da, unserem Leben einen grundsätzlichen Sinn zu geben. Kinder sind eine Aufgabe des Lebens, klar, aber immer mit einer loslassenden Haltung, denn Kinder gehören sich selbst und nicht uns.

Kompromisse in der Partnerschaft finden immer auf dem Minimumfaktor statt. Das heisst, man findet sich dort, wo es noch für beide stimmt, ohne den anderen zu etwas zu zwingen. Dein Mann und Du haben sich bei Eurer Anzahl Kindern gemeinsam gefunden. Es wird der Beziehung schaden, wenn Du Dir ein weiteres Kind „ertrotzt“ oder sogar erzwingst, indem Du einfach schwanger wirst. Ich würde Dir sehr davon abraten. Des Menschen Herausforderung ist es in allen Lebenslagen, sich zu begnügen, sich genügen zu lassen, was in unserer Zeit nicht sehr populär ist. Nicht das "Haben" macht uns letztlich glücklich, sondern das "Sein". Du hast wundervolle Kinder und einen wundervollen Mann. Könnte dir das genügen? Könntest Du damit zufrieden sein? Die, die Ihr habt, sind immer noch mehr als keines – mal aus einer anderen Perspektive betrachtet.

Die Anzahl der Kinder ist letztlich auch eine Frage der Ressourcen: Kraft, Geduld, Geld, Wohnraum, Auto usw. Es bringt nichts, sich über die Kräfte hinaus zu verausgaben. Dein Mann spürt vielleicht, dass ein weiteres Kind seine Energie übersteigt. Ein weiteres Kind bedeutet - nochmals 20 Jahre voll gefordert. Mein Rat an Dich: Nimm allen Druck und alle Erwartungen weg von Deinem Mann. Allenfalls wird er dadurch bereit, sich die Kinderfrage nochmals durch den Kopf und das Herz gehen zu lassen. Möglicherweise bleibt es aber auch bei seinem Entschluss, den Du vielleicht aus Liebe zu ihm respektieren kannst. 

Zum Thema Vasektomie: Unterbinden beim Mann ist eine tolle Sache! Auch für die Entspanntheit in der Sexualität ist sie nur von Vorteil. Wir haben das selbst gemacht und ich kenne ganz viele Männer, die sich zu diesem Schritt entschlossen haben, mit gutem Resultat. Es ist ein vergleichsweise kleiner Eingriff beim Mann. Vorübergehend kann es zu Schmerzen kommen, die aber verschwinden. Auf die Erektion und die Ejakualtion hat die Vasektomie keinen negativen Einfluss, auch nicht auf die Lust, im Gegenteil. Im Internet finden sich ganz viele Hinweise, hier nur einer davon: Vasektomie beim Mann.

Ich möchte Dir weiter sehr ans Herz legen, dass Du „Kinderhaben“, „Kinderwunsch“ und Sexualität versuchst zu trennen. Denn momentan hängt das bei Dir alles eng zusammen. Du denkst, Du könntest Sexualität nicht mehr geniessen, wenn sich Dein Mann unterbunden hat. Doch Sex und Fruchtbarkeit hängen nicht zwingend zusammen. Sexualität existiert um ihrer selbst willen. Weder im Paradies noch bei Jesus oder Paulus finden sich Fruchtbarkeitsaufforderungen (siehe ICH MÖCHTE KEINE KINDER). Und für die Sexualität wird es ganz schwierig, wenn der Kinderwunsch die grundlegende Motivation ist, Sex zu haben und zu geniessen. Denn bei diesen Paaren verschwindet die Sexualität, wenn der Kinderwunsch erfüllt ist.

Du schreibst nichts davon, ob Du meine Bücher gelesen hast. Aber das würde ich Dir sehr empfehlen. Setz Dich mit Deiner Sexualität auseinander, Dir, Deinem Mann und Eurer Beziehung zuliebe, unabhängig vom Kinderwunsch.

Ich hoffe, das hilft dir weiter. Herzliche Grüsse - Veronika

 

Ein Link zum Thema: ANGST VOR EINEM WEITEREN KIND


Liebe Veronika

Ganz herzlichen Dank für Deine wertvolle Antwort. Gestern hatte ich die Möglichkeit, am Nachmittag ein paar Stunden Zeit alleine mit mir und Gott zu verbringen. Dabei ist mir so einiges klar geworden. Unter anderem auch, dass ich meine Sicht auf mich und meine Familie ändern muss. ich brauche nicht noch ein weiteres Kind, um mich komplett zu fühlen. Ich will meine Augen auf meine Kinder, meinen Mann und mich als Frau/Mutter/Ehefrau richten und lernen, über diese "Dinge" richtig glücklich zu sein. 

Unser letztes Kind war über Monate sehr anstrengend und hat meine Kräfte gefordert. Ich konnte mein Baby viel zu wenig geniessen. Das wünschte ich mir "nachzuholen" mit einem weiteren Kind. Diese Gedanken hatte ich mir bis anhin nicht wirklich einzugestehen gewagt, weil ich es viel zu sehr bedauerte, die Zeit nicht ausgekostet zu haben, was mich sehr schmerzt. Aber ich darf das loslassen und vorwärts schauen, auf was ich habe.

Grüsse Dir, Roswitha

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