Hallo Veronika
Mein Mann und ich wären sehr froh um einen Rat von Dir. Zwar läuft es bei uns manchmal gut und zufriedenstellend für beide in der Sexualität, aber manchmal haben wir sehr unterschiedliche Bedürfnisse und enttäuschen uns gegenseitig. Oftmals bin ich diejenige, die nicht will und keine Lust hat. Meinem Mann fällt es dann immer schwerer, mir im Alltag seine Liebe zu zeigen, sodass mein Begehren noch geringer wird. Ich weiss, dass du stark dafür einstehst, dass Lust lernbar ist und da möchte ich mich unbedingt auch weiterentwickeln.
Aber momentan ist unser grösstes Problem, dass ich beruflich sehr gefordert und gestresst bin. Ich kann abends fast nicht abschalten und fühle mich emotional leer. Dann kann ich mich oft überhaupt nicht mehr auf meinen Mann einlassen und hätte lieber Zeit und Ruhe für mich. Ich bin eher introvertiert, mein Mann ist ein extrovertierter Beziehungsmensch, und es verletzt ihn schnell, wenn ich abweisend bin. Er zweifelt immer mehr an sich selbst, unserer Liebe und seinem Sexappeal. Einerseits tut es mir sehr leid, auf der anderen Seite kann ich ihm einfach nicht geben, was ich gerne möchte. Ich denke, als Ehefrau zu versagen, was mir noch mehr Stress und Druck bringt.
Die berufliche Anspannung ist einigermassen absehbar und wir erhoffen uns natürlich, wieder auf eine normale Schiene zu kommen. Aber was können wir tun mitten im Trubel? Wie kann ich meinem Mann begegnen, wenn ich im Moment einfach allgemein keine Nähe ertrage?
Wir wären sehr dankbar für deine Hilfe.
Ladina, 24 Jahre
Liebe Ladina
Stress ist ein grosser Lustkiller. Auch für viele Männer, nicht nur Frauen. Wenn wir uns dann zusätzlich unter Druck setzen, geht oft gar nichts mehr. Unter Druck sind unsere Körpermuskeln in einer hohen Spannung. Wenn wir verkrampft sind, ertragen wir meistens keine Nähe und Berührungen und spüren wenig Lust. Sind wir dazu noch introvertierte und meist auch sensible Menschen, entsteht ein sensitiver „Overkill“.
Erschwerend kommen nun unsere Vorstellungen von Sex hinzu. Im Denken über Sex sind wir sehr fixiert auf den eigentlichen Geschlechtsverkehr und den Orgasmus. Das heisst, zwischen dem Begrüssungskuss beim Nachhause kommen und dem Sexakt an sich, gibt es bei vielen Paaren allenfalls ein paar wenige zärtliche aber keine sexuellen Zwischentöne. Doch gerade diese sexuellen Zwischentöne würden eine sexuelle Vielfalt ermöglichen, die bei beiden den Druck wegnimmt. Anstatt einander auszuweichen, um entweder Sex zu verhindern oder keine Abfuhr einzufahren, solltet ihr körperlich aufeinander zugehen, aber dabei klarstellen, was für eine Annäherung das jetzt ist. Welches Bedürfnis dahinter steht. Zum Beispiel vielleicht einfach nur das Bedürfnis, zu halten oder gehalten zu werden. Ihr solltet das "anschreiben".
Doch wie nun aus der Spannung wegkommen? Sämtliche „Techniken“ für Lust, die ich im Buch beschreibe, helfen auch ganz grundsätzlich, um zu sich und in die innere Ruhe zu kommen. Die Beckenschaukel (im Stehen oder Sitzen, wenn liegen nicht möglich) würde Dir vielleicht helfen, auch im Berufsalltag immer mal wieder inne zu halten. Dabei geht es vor allem um den Atem – und zwar darum, die Luft loszuwerden. Oft atmen wir so, dass wir höchstens zwei Drittel der Luft ausatmen, bevor wieder neue Luft dazu kommt. Je mehr Luft wir zurückhalten und dazu neue einatmen, desto verkrampfter werden wir im Brustbereich und in der Folge im Nacken und im ganzen Körper. Also gewöhne dir an, immer mal wieder heftig sämtliche Luft mit offenem Mund „auszuschnauben“ und mit Hilfe der Beckenschaukel ganz rauszupressen. Dann lässt Du erst wieder Luft einströmen, wenn es nicht mehr anders geht. Das ganze wenn möglich ein paarmal wiederholen.
Dasselbe rate ich Dir, wenn Du nach Haus kommst. Sag Deinem Mann, dass Du zuerst eine Viertel- oder Halbstunde für Dich selbst brauchst, um herunterzufahren und zu entspannen. Danach widmet Ihr Euch Eurem Alltagsprogramm. Plant Euch mindestens 2-3-mal pro Woche nackte Berührungszeiten ein, die sexuelle Spannung entstehen lassen können, im Gegensatz zu zärtlicher Romantik.
Zuerst einmal sollte es dabei vor allem um verschiedene Berührungen gehen, diese wahrzunehmen und sich gegenseitig zu spüren. Diese Berührungen sollten eher fest statt leicht sein. Je höher die Anspannung in uns ist, desto unangenehmer empfinden wir leichte Zärtlichkeiten. Du wirst also mehr entspannen können, wenn Dein Mann Dich etwas fester mit der Hand an verschiedenen Körperstellen anfasst und mit der Hand leicht zudrückt (palpieren - nicht massieren). So kann Deine Anspannung weichen. Nacken- und Kopfmassage helfen ebenfalls, auch mit einem gewissen Druck. Das lässt den Stress über den Kopf entweichen: Mit allen 10 Fingern in die Haare fassen, ganz am Haaransatz die Haare festhalten und vom Kopf wegziehen. Variante: Haare am Haaransatz festhalten und so den Kopf hin- und her bewegen.
Körperliche Berührungen solltest Du nicht einfach über dich ergehen lassen, sondern nach und nach Dich aktiv mit hineinbewegen. Spannung werden wir los, indem wir in Bewegung kommen. Durch die so entstehende wechselseitige An- und Entspannung weicht die Verspannung. Dabei darf selbstverständlich sexuelle Erregung entstehen, vielleicht vor allem bei Deinem Mann. Lass das zu, auch wenn Du selbst das nicht so empfindest. Lass ihn sich freuen an Deinem Körper, an seiner eigenen Erregung, vielleicht auch an einem Orgasmus. Wichtig ist einfach, dass Ihr abmacht, wie weit Du gehen möchtest und welches Signal Du ihm gibst, wenn Du dann doch mehr willst.
Da Christen „theoretisch“ Petting vor der Ehe ablehnen, ist das eine Spielart des Sexes, die viele gläubige Paare nicht praktizieren. Doch Petting wäre eine entspannte Variante, um zum Orgasmus ohne Druck zu kommen. Viele Männer nehmen ihre Lustbefriedigung sehr wohl daraus, ihre Frau durch Stimulation verschiedenster Art zum Höhepunkt zu bringen und dabei selber einen zu erleben. Ich würde Euch also sehr raten, probiert aus, ob Du zwischendurch nicht mehr Lust auf Sex hast, indem Ihr einfach mal nackt zusammenliegt, Euch aneinander und miteinander leicht bewegt, Euch gegenseitig stimuliert, ohne einzudringen, oder höchstens mit den Fingern. Vergesst dabei nicht, auch lustvolle Geräusche von Euch zu geben, weil das die Lust steigert.
Viele Dinge im Leben gelingen besser, wenn wir uns gedanklich darauf vorbereiten. Deshalb könnte es Druck von Dir nehmen, wenn Ihr Eure lustvollen Zeiten zum voraus abmacht oder Euch tagsüber signalisiert. Dann kannst Du bereits auf diesen Moment hin gute Gedanken dazu denken und Dich einstimmen. Und nicht vergessen: Eure individuellen Bedürfnisse oder Nichtbedürfnisse "anschreiben", verbal und nicht nonverbal.
Ich wünsche Euch viele entspannte lustvolle Momente. Herzlich - Veronika